Jugendschutz und politische Zensur

Wenn man dem Jugendschutzfilter JusProg Glauben schenkt, ist das politische Netz und auch Telepolis jugendgefährdend

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Internetanbieter, deren Geschäftsmodell Inhalte sind, die vom Gesetz als jugendgefährdend angesehen werden, haben in Deutschland ein Problem. Sie müssen Vorkehrungen treffen, dass zu beanstandende Inhalte nicht von den lieben Kleinen aufgerufen werden können. Eine dieser Vorkehrungen sind sogenannte Filterprogramme, die von den Eltern installiert werden und den Zugriff auf indizierte Seiten sperren. Was aber, wenn diese indizierten Seiten gar keine fragwürdigen Inhalte enthalten, sondern politische Inhalte, die vielleicht nicht jedermanns Geschmack sind?

In der Schwarzen Liste des Filteranbieters JusProg e.V. finden sich massenhaft alternative Medien wie beispielsweise Telepolis oder die Nachdenkseiten, die offensichtlich nach Einschätzung der Hamburger Jugendschützer nicht für Jugendliche geeignet sind. Auch die Internetseiten der Grünen und der Piratenpartei sind nach Einschätzung von JusProg jugendgefährdend.

Dies alles wäre lediglich eine weitere Internetposse unter vielen, wenn nicht ausgerechnet JusProg als einziges Filtersystem zu einem Modellversuch der staatlichen Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) zugelassen wäre (Von Tittmoning nach Tuntenhausen). Ein Filtersystem mit staatlicher Rückendeckung, das die Informationen einzelner Parteien unterdrückt, wäre allerdings ein Verstoß gegen das Parteiengesetz, welches in §5 die Gleichbehandlung aller Parteien einfordert.

Pornographen als Jugendschützer?

Hinter JusProg stehen zwei der größten deutschen Internet-Erotikanbieter. Vorstandsvorsitzender des Vereins ist Mirko Drenger, seines Zeichens Geschäftsführer der Fundorado GmbH, einer Tochtergesellschaft der freenet AG und der ORION Versand GmbH & Co. KG. Fundorado bezeichnet sich selbst als "Branchenprimus" für Sex- und Erotikangebote im Internet. Wer sich schriftlich mit Fragen an JusProg e.V. wenden will, der muss dafür eine Brieffachadresse der Inter Content KG anschreiben. Inter Content ist einer der größten Anbieter von Pornographie im deutschsprachigen Teil des Internets. Das Unternehmen ist eine hundertprozentige Tochter der Bauer Verlagsgruppe, einem der größten deutschen Medienunternehmen. Unterstützt wird JusProg e.V. auch vom Bundesverband Erotikhandel e.V. und Bild.de.

Dass Geschäftsinteressen der Content-Anbieter hinter dem angebotenen Jugendschutzfilter stehen, ist offensichtlich. Der Jugendmedienstaatsvertrag schreibt vor, dass "entwicklungsbeeinträchtigende Texte, Bilder und Filme", wie beispielsweise Filme mit FSK 16-Einstufung, entweder nur zwischen 22 und 6 Uhr gezeigt werden dürfen, oder es muss durch technische Mittel sichergestellt werden, dass Jugendlichen der Zugang erschwert wird. Härtere Inhalte dürfen sogar nur für geschlossene Nutzergruppen von Erwachsenen zugänglich sein. Verstöße können mit Geldbußen bis zu 500.000 Euro und im schlimmsten Falle sogar mit einem Verbot der weiteren Verbreitung belegt werden - für umsatzstarke Erotikportale ist dies ein nicht zu unterschätzendes Geschäftsrisiko. Um sich Rechtssicherheit zu verschaffen, ohne mit allzu restriktiven Zugangsbeschränkungen potentielle Kunden abzuschrecken, hat die Content-Branche nun mit JusProg ein "technisches Hilfsmittel" entwickelt, das den Zugriff auf justiziable Inhalte durch Jugendliche erschweren soll.

Als einziges Filtersystem nimmt JusProg nun an einem Modellversuch der staatlichen KJM teil. Sollte der Modellversuch erfolgreich sein, wäre JusProg der erste Filter, der die Anerkennung der staatlichen Jugendschützer bekommt. Es sei laut KJM allerdings "nicht absehbar", dass ausgerechnet JusProg die staatliche Legitimation zugesprochen bekommt. Bei anderen Filterprogrammen bemängelte die KJM bereits die Sperrung harmloser Seiten - was JusProg hier zu bieten hat, übersteigt hingegen alles bisher Dagewesene.

Politische Zensur?

Neben Bildern und Filmen gibt es auch Texte, die aufgrund ihrer "sozialethischen Desorientierung" eine Zugangsbeschränkung im Sinne des Jugendschutzes rechtfertigen. Rechtsextreme Hassschriften gehören beispielsweise in diese Kategorie - aber mit welcher Begründung hält JusProg e.V. Internetseiten wie Telepolis für jugendgefährdend?

Eine stichprobenartige Überprüfung am Wochenende ergab, dass jeder zweite politische Blog in der Schwarzen Liste von JusProg mit dem Label "gesperrt" versehen wurde. Darunter befanden sich sowohl bebilderte Blogs mit offenem Kommentarbereich wie F!XMBR, Spiegelfechter oder Schockwellenreiter, als auch reine Textblogs ohne Kommentarbereich wie Fefe, German Foreign Policy oder die Nachdenkseiten. Auch englischsprachige Inhalte, wie Alternet oder Moon of Alabama fanden sich unter dem Label "gesperrt" in der Schwarzen Liste wieder.

Vor allem Seiten, auf denen gegen Zensurmaßnahmen argumentiert wird, gelten den "Jugendschützern" als anstößig - so findet sich neben Lawblog und Chaos-Radio auch der AK Vorratsdatenspeicherung auf der Sperrliste wieder. Mit den Grünen und der Piratenpartei sind sogar zwei Parteien dort zu finden - die Parteien "die Linke" und "NPD" sind laut JusProg für Jugendliche ab 14 Jahren zu verdauen, während CDU, FDP und SPD nicht gelistet sind. Eine solche Kategorisierung verstößt gegen den gesetzlich vorgeschriebenen Gleichbehandlungsgrundsatz und dürfte eine Anerkennung durch die KJM unmöglich machen.

Anders als bei Blogs und alternativen Medien drücken die selbsternannten Jugendschützer bei etablierten Medien auch schon mal gerne beide Augen zu. Bis auf die "jugendgefährdende" TAZ gelten dort alle Online-Ableger größerer Tages- oder Wochenzeitungen und Zeitschriften als unbedenklich. Auch der Online-Ableger der BILD-Zeitung stellt samt seiner "Erotik-Seiten" für die Jugendschützer kein Problem dar, obgleich dort in Bild, Film und Text sexueller Content angeboten wird, der eine Einordnung nach FSK 16 gebieten würde. Ob dies daran liegt, dass Bild.de zu den Unterstützern des Vereins gehört? Der Bildblog, der Fehler von BILD und anderen korrigiert, ist jedenfalls nach Meinung von JusProg wesentlich jugendgefährdender als die BILD selbst - er wurde mit der Einschränkung "ab 16 Jahren" gelabelt.

Schadensbegrenzung

"Aus Termingründen" konnten sich die Verantwortlichen von JusProg den Fragen von Telepolis bisher nicht stellen. Hinter den Kulissen betreibt man allerdings hektisch Schadensbegrenzung, nachdem das Thema in der Bloglandschaft bereits am Wochenende heftig diskutiert wurde. Die Seiten der Grünen wurden im Laufe des Nachmittages für Jugendliche "ab 14" freigegeben, während die meisten politischen Seiten und die Piratenpartei nun mit dem nichtssagenden Label "individuell" ausgezeichnet wurden. Die Seite von Telepolis ist unter der Domain telepolis.de allerdings immer noch gesperrt, während die Subdomain heise.de/tp für unbedenklich gehalten wird, was aber eher an der fehlenden Unterstützung für Subdomains in der Filtersoftware liegen dürfte. So sind beispielsweise auch alle Blogs auf der Plattform "Blogspot" unter der Kategorie "individuell" zusammengefasst, gleichgültig ob es sich dabei um kindgerechte Angebote, politische Texte, Katzenbilder oder Pornographie handelt.

Die Jugendschützer von JusProg e.V. beschreiben ihre Tätigkeit damit, "Webseiten sorgfältig und nach bestem Wissen und Gewissen" zu bewerten. Auch wenn verschiedene Seiten nun im Angesicht eines PR-GAUs in einer Nacht- und Nebelaktion aus der Filterliste genommen oder "heruntergestuft" wurden, so galten diese Seiten für die Prüfer bei deren manueller Sichtung zum Zeitpunkt der Einstufung als "jugendgefährdend". Von welchen Wertmaßstäben die Prüfer hierbei ausgingen, ist nicht ersichtlich. Warum sind einem Siebzehnjährigen kritische politische Texte abseits des medialen Mainstreams nicht zuzumuten?

Quis custodiet ipsos custodes?

Mit derlei Willkür diskreditiert sich die Branche selbst. Wer seinen freizügigen Content gewinnbringend im Netz anbieten will, sollte dies nicht mit einem durchschaubaren Kreuzzug gegen missliebige politische Inhalte verbinden. Wer immer noch die Meinung vertritt, Jugend- und Kinderschutz habe nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, sollte durch die Sperrliste von JusProg nun eines besseren belehrt sein.

Letztendlich zeigt diese Affäre, wie schnell es gehen kann, dass unter dem Deckmäntelchen des Jugendschutzes Zensur gegen Andersdenkende ausgeübt werden kann. JusProg ist zwar nur ein privater Filter, und als solcher nicht sonderlich relevant, auch wenn das Programm sogar bei Heise.de zum Download angeboten wird und als einziges seiner Art bei einem Modellversuch der KJM teilnimmt. Filtermaßnahmen á la JusProg gelten jedoch im Fahrwasser weitergehender Sperrphantasien als Vorboten eines moderierten Netzes. Aber wer überwacht die Wächter?