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Finanzamt Wer fragt, muss Gebühren zahlen

Wer vom Finanzamt eine verbindliche Auskunft will, muss bald dafür zahlen - laut dem Jahressteuergesetz 2007 mindestens 100 Euro. Die bizarre Begründung der Koalition: Die neuen Regeln seien so kompliziert, dass es mehr Anfragen geben wird. Und: Der Fiskus würde schneller arbeiten.
Von Tim Höfinghoff und Sonja Pohlmann

Hamburg/Berlin – Es ist nur ein kleiner Teil des Artikels 10 im Entwurf zum Steuergesetz 2007, doch er sorgt für große Empörung. Finanzämter sollen "für die Bearbeitung von Anträgen auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft" Gebühren nehmen, heißt es in dem Passus. Im Klartext: Wer in einer komplizierten Steuerangelegenheit auf Nummer sicher geht und beim Fiskus eine Antwort sucht, wird dafür bezahlen müssen.

Abgerechnet werden soll nach dem "Gegenstandswert", also "dem Wert, den die verbindliche Auskunft für den Antragsteller hat", wie es in dem Gesetzestext heißt. Kann dieser Wert nicht geschätzt werden, dann sind 50 Euro je angefangene halbe Stunde fällig - mindestens aber 100 Euro. Unverbindliche Auskünfte, also ohne Rechtsanspruch, sollen gebührenfrei bleiben.

Der neue Passus ist längst festgeschrieben, "doch im Referenten- und Gesetzesentwurf war er nicht drin", heißt es beim Bund der Steuerzahler, man fühle sich völlig überrumpelt. Es sei "skandalös", schimpft der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Karl Heinz Däke, dass quasi durch die Hintertür die Gebührenpflicht in den Gesetzesentwurf aufgenommene wurde.

Kompliziertes Steuerrecht führt zu mehr Fragen

Kürzlich hatte der Bundestag das Gesetz mit der neuen Regelung beschlossen - gemerkt hat es kaum einer, doch nun ist die Empörung groß: "Dass die Steuerzahler für die Inanspruchnahme von Leistungen der Finanzverwaltung nochmals zur Kasse gebeten werden sollen, ist in keinster Weise gerechtfertigt." Dies solle wohl dazu beitragen, "dass Steuerzahler von ihren Informationsrechten keinen Gebrauch mehr machen", sagt Däke.

Vorgeschlagen hatte die neue Gebührenpflicht der Bundesrat, der dem Gesetz noch zustimmen muss. Mit einer Ablehnung durch die Ministerpräsidenten der Länder bei der abschließenden Beratung zum Gesetz im Dezember ist kaum zu rechnen.

Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums verwies auf die Begründung zur Änderung des Gesetzes. Darin heißt es, dass wegen der "Kompliziertheit des Steuerrechts" auch die Zahl der Anträge "stark ansteigen wird". Dies führe zu erheblich mehr Arbeit. Und da eine Auskunft "eine Dienstleistung gegenüber dem Steuerpflichtigen" darstellt, sei die Gebühr "sachgerecht".

Teuer kann der neue Dienst beim Finanzamt besonders für Unternehmen werden, deren "Gegenstandswert" hoch ist. Zum Beispiel, wenn sie im Ausland eine andere Firmen kaufen. Aber auch private Steuerzahler müssten zahlen, wenn sie sich an einer Immobiliengesellschaft oder einem Fonds im Ausland beteiligen und sich über die Auslegung der Gesetze im Unklaren sind. "Das ist unverschämt", sagt Jürgen Pinne, Präsident des Deutschen Steuerberaterverbandes (DStV). "Man will eine klare Auskunft und muss dafür auch noch bezahlen."

Nach Meinung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) kommt "da eine große Gebührenpflicht auf die Unternehmen zu", so Berthold Welling, Leiter der BDI-Steuerabteilung. "Das kann ja nicht sein, zumal die Steuer ja noch oben drauf kommt." Nach Berechnungen des BDI bedeute das für manche Unternehmen bis zu einer Millionen Euro pro Jahr an Zusatzkosten.

"Angst vor einer Flut von schriftlichen Anfragen"

Die finanzpolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen sind sich dagegen einig: "Die Gebühr ist vollkommen gerechtfertigt." Die verbindliche Auskunft der Finanzämter sei keine normale öffentliche Dienstleistung, sondern eine Sonderleistung. "Und solche komplizierten Anfragen kann es nicht mehr zum Nulltarif geben", sagt Otto Bernhardt, finanzpolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Welche Fälle künftig schriftlich beantwortet werden müssen und damit kostenpflichtig sind, werde im Einzelfall entschieden. Dazu sollen jedoch nicht Fragen nach der günstigsten Steuerklasse oder nach dem Kindergeld gehören – sie würden weiterhin mündlich und kostenlos beantwortet, sagt Bernhardt.

Joachim Poß, als stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender auch für Finanzen zuständig, spricht von einer Schutzfunktion für die Ämter. "Die Unternehmen stellen oft schlecht vorbereitete Anträge", sagt Poß. Wenn sie künftig für diese zahlen müssen, würden sie vermutlich genauer arbeiten – das entlaste die Ämter. Sein Kollege Jörg-Otto Spiller, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion sagt: "Die Ämter haben Angst vor einer Flut von schriftlichen Anfragen."

Dass durch den Beitrag ärmere Leute benachteiligt werden, glaubt er nicht. Die Beitragspflicht treffe vor allem wohlhabende Menschen, die einen hohen Geldbetrag sparen wollen. "Und für die sind solche Gebühren zumutbar", sagt Spiller. Letztendlich würden alle Steuerzahler von der Gebührenpflicht profitieren. Denn bislang dauert es lange, bis vom Finanzamt eine Antwort auf schriftliche Anfragen kommt. Seine These: "Wenn die Ämter Geld für ihre Dienstleistung verlangen, werden sie schneller arbeiten."

"Das Gesetz ist dreist und unverschämt"

Warum aber eine solche Beschleunigung nur durch zusätzliche Gebühren möglich sein soll, ist fraglich. Denn neue Stellen sind nicht geplant. Und Fristen, bis wann schriftliche Auskünfte erteilt werden müssen, gibt es bisher auch nicht. Christine Scheel, finanzpolitische Sprecherin der Grünen, lehnt daher das neue Gesetz ab. "Erst wird das System noch komplizierter gemacht und dann müssen die Steuerzahler auch noch dafür zahlen."

Hermann Otto Solms, FDP-Finanzexperte, ist ebenso empört: "Die Bürger werden jetzt doppelt abkassiert. Dreist und unverschämt ist das", sagt er. Nach seiner Ansicht ist die Verwaltung dazu verpflichtet, Auskunft zu erteilen – und zwar kostenlos. Doch hätten die Ämter anscheinend keine hohe Meinung von den Steuerzahlern. "Die glauben, dass der Bürger ein Idiot ist, den es auszuplündern gilt", sagt Solms sauer.

Nach Meinung des Bundes der Steuerzahler könnten Steuerzahler eigentlich Service vom Finanzamt erwarten: Dazu gehöre auch das Recht auf eine verbindliche Auskunft. Zumal Steuerzahler schon viele "unbezahlte Hilfsdienste" für den Staat leisten: So behalten Unternehmer die Lohnsteuer ihrer Mitarbeiter ein und führen die Gelder an den Fiskus ab. "Den Steuerzahlern nun die Kosten für eine verbindliche Auskunft aufzuerlegen, ist der Gipfel der Unverschämtheit", sagt Däke.

Auch beim Neuen Verband der Lohnsteuerhilfevereine (NVL) in Berlin ist der Ärger groß: "Das ist nicht zu akzeptieren", sagt NVL-Geschäftsführer Uwe Rauhöft. "Die Gesetze werden immer komplizierter und der Bürger wird allein gelassen." Der NVL vertritt bundesweit 140 Vereine, die in 6000 Beratungsstellen pro Jahr bei 900.000 Einkommensteuerklärungen helfen.

DStV-Präsident Pinne ahnt schon Böses: "Dass eine Gebühr erhoben wird, lässt befürchten, dass man in Zukunft auch für einen Einspruch zahlen muss." Der Alptraum des Verbands: Die Finanzämter lassen sich bald auch noch die Steuererklärung bezahlen.